Sagen und geschichtliche Erzählungen aus dem Schönbacher Ländchen
gesammelt und verfaßt von H. Brandl, Rothau
1. Die sagenhafte Burg auf dem Hohen Stein
Vor vielen Jahrhunderten stand an der Stelle,
auf welcher sich heute die mächtigen Felsen des
Hohen Steins auftürmen, eine große feste Burg.
Sie war mit gewaltigen Mauern umgeben und
von hier aus genoß man einen Überblick ins
Egerland und ins Vogtland. Auf gelichteten
Stellen am Fuße des Berges hatten sich fleißige
Menschen angesiedelt, die dem steinigen Boden
mit Mühe die geringen Bedürfnisse ihres Lebensunterhaltes
abzwangen. Aus fernen Ländern
waren sie auf den Ruf des Ritters gekommen,
denn sie hofften, hier in Genügsamkeit, in
Ruhe und Frieden leben zu können. Aber nur
zu bald seufzten sie unter dem harten Joche des
rauhen Burgherrn. Die Anforderungen des Herrn
steigerten sich von Jahr zu Jahr; und wenn sie
in ihrer Armut den Forderungen nicht nachkommen
konnten, so verhängte er schwere Strafen
über sie. Je älter der Zwingherr wurde, desto
mehr wich aus seinem düsteren Gemüte das Mitleid,
sein Herz schien sich zu versteinern.
2. Der Fluch des Sängers
Einst kam ein greiser Sänger auf die Burg, um
der Minne Lied zu singen. Der rohe Schloßherr
ließ ihn jedoch mit Spott und Hohn aus dem
Burghofe jagen. Erzürnt ob der unverdienten
Kränkung sprach der Sänger den Fluch des Verderbens
über die ungastliche Stätte und ihren
rohen Herrn aus. Der Fluch ging in Erfüllung.
Das Schloß ist verschwunden, nur große seltsame
Felsen zeigen von seinem ehemaligen
Standorte, woran man die Türme und Rauchfänge
der einstigen Burg erkennen will. Mit
dem Verfalle des Schlosses sanken auch seine
reichen Schätze in die Tiefe und liegen hier bis
heute geheimnisvoll verwahrt. Der verwunschene
Ritter aber findet keine Ruhe; oft hört
man lautes Getöse und Wiehern von Rossen aus
den gewaltigen Felsen, auch bemerkten Leute
den Abfluß der Jauche aus dem unterirdischen
Stall, und in finsteren, unheimlichen Nächten
hört man vom Hohen Stein herab in der Richtung
gegen die „drei Rainsteine" (an der Graslitz-
Schönbach-sächsischen Grenze) die „wilde
Jagd" dahin brausen, der sich auch der verwunschene
Ritter vom Hohen Stein anschließen muß.
In der Nähe des sogenannten Franzosensteines
soll der Eingang in die Schatzkammer des verwunschenen
Schlosses sein, doch öffnen sich die
Pforten derselben nur Sonntagskindern, und
zwar alljährlich am Karfreitag, während in der
Kirche die Passion gesungen wird.
3. Vergiß das Beste nicht!
Ein armes Weib aus Stein nahm ihr einjähriges
Kind, das sie niemandem in Obhut geben konnte,
und begab sich an einem Karfreitage auf den
Hohen Stein, um Holz zu klauben. Schon hatte
sie ihren Korb fast gefüllt, da bemerkte sie
plötzlich eine weite Öffnung im Felsen, welche
sie vordem nie gesehen hatte. Verwundert
darüber nahm sie ihr Kind auf den Arm und
trat näher. Wie erstaunte sie, als sie in der
Höhle einen Haufen der schönsten rotwangigen
Äpfel und mehr im Hintergrunde eine Menge
goldener Münzen neben funkelnden Edelsteinen
erblickte! Auf einem kostbaren Tischchen lag ein
Bund altertümlicher Schlüssel. Ringsum feierliche
Stille, kein Wächter dieser kostbaren
Schätze ließ sich blicken. Als sich das Weib etwas
gefaßt hatte, setzte sie das Kind neben die Äpfel,
eilte schnell zu ihrem Korbe, schüttete ihn aus
und raffte nun von den Schätzen, soviel sie tragen
konnte, in den Korb. Im Begriffe hinauszugehen,
um erst den gefüllten Korb und dann
ihr Kind in Sicherheit zu bringen, vernahm sie
aus der Höhle eine warnende Stimme: „Vergiß
das Beste nicht" — Doch sie konnte den Sinn
der Worte in der Erregung nicht deuten, eilte
daher mit ihrer kostbaren Beute ins Freie. Kaum
war dies geschehen, schloß sich der Felsen völlig
geräuschlos, und so sehr auch das entsetzte
Weib um ihr verlorenes Kind jammerte und die
Hände rang, der Eingang war und blieb verschwunden.
Todmüde und tiefbetrübt wankte sie
endlich ihrer Hütte zu, ihre Habsucht verwünschend.
Der so schwer erworbene Schatz brachte der
armen Frau keinen Segen, sie verwendete auch
nicht die geringste Kleinigkeit davon, ihr ganzes
Sinnen und Denken galt dem verlorenen, ach so
geliebten Kinde. Ein Jahr, ein unsäglich trauriges
für die trostlose Mutter, war zu Ende gegangen.
Wiederum war's Karfreitag. Die hartgeprüfte
Mutter nahm den Korb mitsamt dem
unberührten kostbaren Inhalte und lenkte ihre
Schritte zur selben Stunde wie im Vorjahre der
Stelle zu, wo sie ihr Kind verloren hatte. Und
siehe da! — Der Eingang zur Schatzkammer
stand offen. Mit klopfendem Herzen, hoffend
und bangend zugleich, trat sie näher: Da saß ihr
Liebling zu ihrer unaussprechlichen Freude
frisch und gesund, doch kräftig herangewachsen
auf derselben Stelle, wohin sie ihn vor Jahresfrist
gesetzt hatte. Schnell schüttete sie die
mitgebrachten Schätze an den früheren Platz,
ergriff ihr Kind und eilte dem Ausgange zu, obwohl
die bekannte Stimme im Inneren der
Schatzkammer ihr wieder warnend zurief: „Vergiß
das Beste nicht!" -—
Auf dem Heimwege fragte sie ihr Kind: „Wer
pflegte dich? Wer gab dir zu essen, mein Liebling?"
Das Kind antwortete: „Eine weiße Frau
war immer freundlich zu mir; sie gab mir zu
essen, zu trinken, sie kleidete mich und spielte
mit mir." —
Hätte die arme Frau die Schlüssel, die auf dem
Tische lagen, mitgenommen, so hätte sie jederzeit
die Schatzkammer öffnen können; denn der
Schlüsselbund war das Beste, das sie nicht vergessen
sollte.
Die glückliche Mutter dankte Gott, daß sie ihr
liebes Kind wieder bei sich hatte, nie mehr sollte
Habgier ihr Herz betören.
Die weiße Frau ließ sich früher, meist zur Mittagszeit,
häufig in der Nähe des Hohen Steins
sehen, den Bund mit den altertümlichen Schlüsseln
in der Rechten tragend. Sie tat niemand
ein Leid, im Gegenteil; manchen würde sie reich
gemacht haben, wenn er nicht unwissend und
leichtsinnig die dargebotenen Geschenke von
sich gewiesen hätte.
4. Das Schwedenweibl
Manche alten Leute nennen die weiße Frau mit
dem Schlüsselbunde das Schwedenweibl. Sie erzählen,
daß die weiße Frau die verwunschene
Tochter eines gefürchteten schwedischen Feldherrn
sei. Da ihr Vater lange Zeit auf dem Hohen
Stein hauste und dabei die ganze Gegend schwer
bedrückte, so sei er samt seiner Tochter von
einem mißhandelten Greise verwünscht worden.
Die Buschweibchen vom Hohen Stein
Wie im Hohen Stein menschenfreundliche Zwerge
wohnten, so hielten sich in den umliegenden
Wäldern Busch- oder Moosweibchen auf. Häufig
kamen diese Weibchen in die Häuser der
Menschen und verlangten etwas zu essen, wofür
sie oft Geld, kostbare Steine oder heilkräftige
Kräuter als Entgelt zurückließen. Die Moosweibchen
sind zwerghafte Gestalten, über und
über mit Moos bewachsen, mit Kleidern aus
Baumrinde und Flechten.
Oft vernahmen Beerweiber und Schwämmesucher
aus einem dichten Gestrüppe in der Nähe
des Hohen Steins heftiges und anhaltendes
Niesen; keinem aber fiel es ein „Helf Gott!"
zu rufen. Auf dem Heimwege begegneten sie
dann oft einem Moosweibchen, das sich unter
Seufzen und vorwurfsvollen Blicken rasch entfernte.
Einst aber, als das Niesen dann gar zu arg
wurde, sagte ein Weib: „Nun, so helf Gott!"
Augenblicklich stand eine weiße Frau vor ihr
und sagte freudig. „Du hast mich erlöst; hier,
empfange deinen Lohn!" Damit überreichte sie
der erschrockenen Frau einen schweren Moosknollen
und verschwand. Der Ballen aber erwies
sich zu Hause als ein Stück kostbaren Goldes
und machte das Weib reich.
6. Der verschrieene Schatz
Ein andermal gingen zwei arme Weiber auf den
Hohen Stein, um Holz zu sammeln. Da sah die
eine, als sie sich aufrichtete, plötzlich einen Haufen
Gold vor sich, darüber ein zuckendes Flämmchen
schwebte. Mit gierigen Blicken betrachtete
sie den unverhofften Schatz und rief zu ihrer
Freundin: „Komm schnell zu mir und hilf mir
den großen Schatz in meinen Korb raffen!" Kaum
hatte sie gesprochen, als unter zischendem Geräusche
das Gold verschwand. Die herbeigeeilte
Gefährtin war ganz enttäuscht, sie schalt ihre
Freundin tüchtig aus, weil sie unbedachtsam den
Schatz beschrieen und ihn deshalb zum Verschwinden
gebracht hatte. —
Der größte Schatz einer Mutter ist ihr gesundes,
braves Kind. Wenn sie aber von der Nachbarin
besucht wird und diese spricht: „Du hast aber
ein braves, herziges Büblein!" — Da klopft die
Mutter, still lächelnd, mit dem Finger auf die
Unterseite der Tischplatte und entgegnet: „Unverschrieen,
liebe Gevatterin, mein Büberl ist
bisher recht brav." Unterläßt sie oder die Nachbarin
das Klopfen auf den Tisch, so glaubt sie,
wenn das Kind etwa krank würde, es wäre verschrieen
worden.
7. Der verirrte Knecht auf dem Hohen Stein
Ein Knecht aus Waltersgrün hatte einen dringenden
Gang nach Stein zu tun. Die Nacht war
bereits hereingebrochen, als er bei der unteren
Mühle den Fahrweg verließ, um auf einem
schmalen Fußpfade am Abhänge des Hohen
Steins den Weg abzukürzen. Infolge der Dunkelheit
kam er vom richtigen Steige ab und irrte
lange in der einsamen Gegend herum. Endlich
erblickte er zu seiner Freude ein Licht in der
Ferne. Als er jedoch näher kam, so sah er einen
breiten Gang in den Fels gehauen, an dessen
Ende von der Decke eine strahlende Lampe herabhing.
Auf einem altertümlichen Tische lagen
ungeheure Schätze von Gold und funkelnden
Steinen neben einem Bunde seltsamer Schlüssel.
Nun bemerkte der verwunderte Knecht auch die
Hüterin dieser Kostbarkeiten; es war die weiße
Frau. Sie schien die Gedanken des staunenden
Knechtes zu erraten, deutete mit dem Finger auf
die Schätze und sprach mit sanfter Stimme:
„Nimm davon, soviel dein Herz begehrt; aber
vergiß das Beste nicht!" Mit gierigen Händen
raffte er von dem Golde, soviel er in seinen Taschen
bergen konnte. Noch zweimal trafen die
warnenden Worte der Frau vergebens sein Ohr:
„Vergiß das Beste nicht!" — Um den so mühelos
gewonnenen Reichtum in Sicherheit zu bringen,
suchte der Knecht den Ausgang zu erreichen.
Kaum war er im Freien, da schloß sich
donnernd der Eingang und eine dumpfe Stimme
rief: „Tor, das Beste war der Schlüsselbund, den
du unbeachtet ließest, er hätte dir jederzeit den
Eingang zu meinen Schätzen geöffnet!" —
Von der Kirche zu Stein aber trug der Wind die
zwölf Schläge der Turmuhr an sein Ohr, es war
Mitternacht. Die Wolken zerteilten sich, es funkelten
die Sterne am Himmel, mit Schauder
wurde der Knecht gewahr, daß er stundenlang
am Hohen Stein herumgeirrt.
8. Die Zwerge auf dem Hohen Stein
Der Hohe Stein war einst auch die Heimat gutmütiger
Zwerge. Von hier aus besuchten sie oft
die Häuser der Menschen, halfen ihnen bei mancherlei
Arbeit und erwiesen armen, aber rechtschaffenen
Leuten viele Wohltaten. Die Zwerge
haben eine Religion, sind aber keine Christen,
weshalb sie kein Glockengeläute vertragen können.
Als die Leute anfingen, die Knödel in den
Topf und die Brote in den Backofen zu zählen,
da verschwanden sie nach und nach aus der
Gegend.
9. Die Sagen von dem Kirchlein in Stein
Zur Zeit, da noch dichte Waldungen die Fluren
deckten, wo heute die Bewohner von Kirchberg
und Stein ihre Wohnstätten aufgeschlagen, der
Fleiß ihrer Hände Felder und Wiesen geschaffen,
jagten einst zwei Brüder ritterlichen
Standes. Im Eifer der Jagd entfernte sich der
jüngere von seinem Gefährten und verlor sich
in der Wildnis. — Die Jagdlust war gestillt, der
ältere Bruder blies ins Horn zur Heimkehr; aber
kein Gegenruf gab ihm Kunde von seinem Bruder.
Die Nacht brach herein, da bestieg er in
banger Sorge um den geliebten Gefährten den
Hügel, worauf heute das Kirchlein steht, und
wiederholte seine dringenden Rufe. Der düstere
Wald erstickte die menschliche Stimme, der Gesuchte
lag vielleicht hilflos mit zerschmetterten
Gliedern an unzugänglicher Stelle. „Wenn ich",
so rief er verzweifelnd, „meinen lieben Bruder
gesund wiederfinde, so will ich an dieser Stelle
hier eine Kapelle bauen lassen!" Am anderen
Tage fand er gesund und munter den Gesuchten.
Auch das Gelöbnis wurde gerne erfüllt, bald
sollte eine Kapelle den Hügel zieren. Aus dieser
Kapelle erstand das jetzige Kirchlein auf dem
Kirchberge bei Stein.
10. Die Zwerge an der Kirche zu Stein
Nach dem Gelöbnis des Gründers der Steiner
Kirche sollte sie auf dem Gipfel des jetzigen
Kirchberges errichtet werden. Die Bauleute
schafften jedoch aus Bequemlichkeit die Steine
an den Fuß des Berges und begannen mit dem
Baue.
Während der Nacht trugen Zwerge die Steine
und Balken auf den Hügel. Am anderen Morgen
rollten die Bauleute alles wieder ins Tal und
setzten den Bau fort; aber in der folgenden
Nacht schafften die Zwerge vom Hohen Stein
die Grundsteine samt dem Bauholze abermals
auf die Anhöhe. Die Bauleute dachten nicht an
die Zwerge und hielten mutwillige Hände für
die Störer des Baues und begannen nochmals
den Grund im Tale zu legen. Aber auch am dritten
Morgen hatten die Zwerge ihren Willen
kundgetan und in der Nacht alles Baumaterial
auf die östliche Höhe des Kirchberges gebracht.
Nun entschloß man sich endlich, dem deutlichen
Winke des kleinen Volkes zu entsprechen, und
errichtete das Gotteshaus auf dem gewünschten
Berge, der davon den Namen Kirchberg erhielt.
Die Zwerge waren damit zufrieden, ja zwei von
ihnen ließen sich sogar an der Südwand mit
einmauern.
11. Die Kirchenräuber von Stein
In der Kirche zu Stein hängt über dem Weihbrunnbecken
ein altes Ölgemälde. Es stellt
Diebe dar, die den Altar der Steiner Pfarrkirche
erbrechen und daraus die heiligen Gefäße rauben.
Die Kirchenchronik berichtet darüber folgendes:
In der Nacht vom 22. auf den 23. November des
Jahres 1805, als die Kirchenmusiker ihre Cäcilienfeier
im Gasthause hielten, raubten Diebe
die heiligen Gefäße der Kirche. Die Räuber flohen
damit gegen Sachsen zu, entleerten in der
Nähe des Hohen Steins die goldenen Gefäße,
indem sie die geweihten Hostien in den Schnee
schütteten.
Nach dreizehn Tagen fanden die Leute die hl.
Hostien unversehrt an diesem Orte. Der damalige
Pfarrer Krippner holte in Begleitung vieler
Kirchkinder die Hostien heim, ließ um den
Platz vorerst einen Bretterverschlag errichten
und sammelte Geld zum Baue einer Kapelle. Aus
allen Ortschaften des Kirchsprengeis, besonders
aus Graslitz, liefen so reichliche Spenden ein,
daß im Jahre 1817 die am Nordende des Hohen
Steins noch heute erhaltene Kapelle errichtet
werden konnte.
12. Der Hirte von Waltersgrün
Ein Junge stand bei einer geizigen Bäuerin in
Waltersgrün im Dienst. Wenn er die Herde auf
die Weide trieb, so gab sie ihm nur ein kleines
Stückchen Brot mit. Zur Mittagszeit setzte sich
der Junge ins Gras, um sein Brot zu verzehren.
Da erschien ihm die weiße Frau und bat ihn um
ein Stückchen Brot. Er teilte sein Mittagbrot in
zwei gleiche Teile und reichte der Frau die eine
Hälfte. Beim Abschiede schenkte die Frau dem
Hirten eine Rute und sprach: „Wenn die Bäuerin
dir das Brot schneidet, so berühre sie mit dieser
Rute." Der Hirte versteckte das Geschenk der Frau
im Stalle. Am anderen Morgen nahm die Bäuerin
das Brot aus der Tischlade, da berührte sie unbemerkt
der Junge mit der Rute. Diesmal sagte
sie: „Dem Hirten muß ich ein großes Stück Brot
geben und auch eine Butterflade dazu. Er verdient's!"
Und so blieb es fast den ganzen Sommer.
Eines Tages räumte die Magd den Stall, da
warf sie die unscheinbare Rute mit auf den Düngerhaufen.
Als der Hirte am nächsten Morgen
die Rute nicht mehr vorfand, da schnitt ihm
seine Herrin wieder ein kleines Stück vom Brotlaibe,
auch vergaß sie die Butterscheibe. Traurig
setzte er sich auf den Feldrain, um sein karges
Mahl zu halten. Da erschien ihm am Waldrande
die weiße Frau wieder, aber sie zeigte ihm ein
unfreundliches Gesicht und drohte mit der Hand
aus der Ferne.
13. Die Glocken von Totengrün
Von Alois Schimmer
1. Wenn rings in dem Gelände
Johannisfeuer glühn,
erklingen zur Sonnenwende
die Glocken von Totengrün.
2. Die einst zu dem Kirchdorf gehörten,
gehn durch die Wege hin
— dort unter der stillen Erden —
zum Kirchlein von Totengrün.
3. Und heilige Gesänge
durchs kleine Kirchlein ziehn,
einstimmen milden Klanges
die Glocken von Totengrün.
4. Man betet und man singet,
die Glocken schallen drein,
manch traulicher Chor erklinget
dort unten beim Lichterschein.
5. Doch schlägt die zwölfte Stunde,
hört auf der Glocken Klang,
verstummt in dem stillen Tale,
allmählich der Toten Sang.
14. Die Glocken von Totengrün
Westlich von Waltersgrün, an der Bezirksgrenze
gegen Schönbach, liegt der Tockengrüner Wald
mit dem Hummelberg.
In alten Urkunden wird erwähnt, daß hier eine
Ortschaft mit Namen Dockengrün stand, die 1348
noch bestanden hat.
über ihren Untergang berichtet uns die Sage
folgendes:
Vor vielen Jahrhunderten stand am Goldbache
ein Kirchdorf Grün. Seine Bewohner waren arm,
lebten aber dennoch zufrieden und glücklich. Da
brach eine schreckliche Krankheit, die Pest, aus
und machte viele Kinder zu Waisen.
Aber auch die Erde bebte und alle Häuser und
viele Menschen versanken in die Tiefe. Die wenigen
überlebenden flohen aus der unheimlichen
Heimat und gründeten die Dörfer Dürngrün,
Ermetsgrün und Wernitzgrün.
Nach langer Zeit betraten die Entflohenen die
Stätten der einstigen Heimat und nannten den
Ort ihrer lieben Toten Totengrün. Heute bedeckt
der Wald den entschwundenen Ort, er heißt
Tockengrüner Wald, und niemand kennt die
Stelle, wo das versunkene Dorf gestanden hat.
Wer aber an gewissen Tagen des Jahres
ahnungslos an die Stelle kommt, dem schlägt
fernes Glockengeläute aus der Tiefe wehmütig
an das Ohr.
Das sind die Glocken von Totengrün.
15. Die Sage vom Köhlerhof in Dürngrün
Als die Leute in Totengrün starben, wanderte
auch einer aus, der dort im Wald sich niederließ
und Kohlen brannte; Köhler wurde er deshalb
genannt. Seine Kinder taten dasselbe und so
entstand bald im Wald ein dürrer Fleck, auf dem
sich einer eine Hütte baute, worin er mit Weib
und Kind wohnte. Als dieses Haus abbrannte,
baute er es größer auf und andere bauten daneben
ebenfalls Häuser, bis eine Siedlung entstand,
die Dürngrün benannt wurde. — Als wieder
einmal das Haus abbrannte, da baute man
einen stattlichen Hof, der heute noch steht, und
die Hausnummer 1 trägt, das ist der Köhlerhof.
16. Die Sage vom „Bouchmannl in Bouchhulz"
Das Bouchmannl soll aus dem Braunhof (Brauhuaf)
in Absroth stammen, es soll bei Lebzeiten
viele Grenzsteine versetzt haben, denn es war
habsüchtig und konnte nicht genug Land bekommen.
Darum darf es jetzt im Grabe keine Ruhe
finden. Beim Begräbnis lugte es, während man
den Sarg zur Tür hinaustrug, beim Dachfenster
heraus und rief: „In' Bouchhulz bist, in' Bouchhulz
bist! Hahoj! Hahoj!" Mit diesem Ruf wandert
es auch heute noch durchs Buchholz und
fuhrwerkt dort manche Nacht herum. Schon oft
hat es die Leute fexiert; manchem hat es geholfen,
der viel zu schwer aufgeladen hatte,
viele aber hat es zurückgehalten, auch wenn sie
nur wenige Stücke Holz auf dem Wagen hatten.
17. Die Entstehung der Spitalskapelle
in Schönbach
Auf der Herrschaft Schönbach lebte einst eine
böse Frau, die niemandem Gutes erweisen
wollte. Wenn die Armen zu ihr betteln kamen
um ein Stück Brot, so schrie sie ihnen zu: „Freßt
Semmel!" und gab ihnen nichts. — Einmal waren
Herr und Frau auf der Jagd. Sie verirrten sich
im Walde und fanden 3 Tage nichts zu essen.
Als sie gegen Mittag auf einem Baume ausruhten,
sagte der Herr zur Frau: „Siehst du jetzt,
wie weh der Hunger tut? Immer warst du so
böse gegen die Armen!" Weinend gestand die
Frau ihr Unrecht zu und sie gelobten beide, eine
Kapelle und ein Armenhaus zu bauen, wenn
ihnen der Himmel helfen würde. Während sie
noch sprachen, hörten sie ein Glöcklein läuten,
das ihnen den Weg wies, und sie waren gerettet.
—- Auf dem Platze, wo sie gesessen hatten,
entstand bald eine Kapelle und ein Armenstift,
in welchem täglich um die gleiche Stunde (1 Uhr
mittags) das Glöcklein läutet.
18. Das Buchmannl (Waltersgrün)
In den Wäldern bei Waltersgrün hauste einst
ein Waldgeist, das Buchmannl.
Die vielen Kohlenbrenner in seinem Reviere waren
dem Geiste ein Greuel, und oft tat er ihnen
Schabernack.
Der Sohn eines Köhlers rief einmal beim Beerenpflücken:
„Buchmannl, dummes, he, he!" Darüber
ergrimmte der Waldgeist, er fiel den erschrockenen
Knaben an und brach ihm das Genick.
Der Vater suchte lange im Walde nach dem
verschwundenen Kinde, und als er es fand, da
bemerkte er an den blauen Flecken die Handmale
des Buchmannls.
Eine rasende Wut überkommt den Köhler und
er schreit einen fürchterlichen Fluch in den
Wald: „Weiter als ein Hase in tausend Jahren
läuft, soll dich, du böser Geist, ein Donnerwetter
in den Erdboden schlagen!"
Ein schweres Gewitter zieht heran: der Donner
rollt, daß der Erdboden zittert, der ganze Wald
erscheint als Flammenmeer, und ein wolkenbruchähnlicher
Regen überschwemmt die Gegend.
Als das Unwetter vorüber war, hatte die ganze
Gegend ein anderes Aussehen.
Seit dieser Zeit ist der böse Waldgeist verschwunden.
19. Der schwarze Hund mit der feurigen Zunge
am Schönauer Berge
Die Großmütter von Schönau erzählen ihren
Enkeln und Enkelinnen an langen Winterabenden
gern von einem großen schwarzen Hunde
mit feuriger Zunge, der im Schönauer Berge
einen großen Schatz hüte. —
An einem nebeligen Herbsttage hatte sich eine
Magd von Schönau in Graslitz verspätet und
mußte nun allein den weiten Weg über den
steilen Berg antreten. Als der Lichtschein der
letzten Häuser ihrem Blicke entschwunden war,
gewöhnten sich ihre Augen allmählich an die
Dunkelheit.
Sie beschleunigte ihre Schritte, so daß ihr bald
warm wurde. Das Herz klopfte ihr fast hörbar,
als sie in die Nähe des Kreuzweges kam, wo
der Weg ins Dorf führt.
Da sah sie, o Schrecken, einen großen schwarzen
Hund mit glühenden Augen sitzen, dem
eine feurige Zunge aus dem Maule hing. Nun
fing die Magd zu laufen an, doch das schreckliche
Tier sprang ihr mit einem Satze auf den
Rücken.
Zu Tode erschrocken wollte sie um Hilfe rufen,
doch sie brachte keinen Laut hervor. In rasender
Flucht eilte sie dem Dorfe zu.
Da erblickte sie endlich den Turm der Kirche,
die Nähe der Häuser. Auf einmal entsprang der
Hund in das Dunkel der Nacht.
Totenblaß, in Schweiß gebadet, kam die Magd
ins Haus und verfiel in eine schwere Krankheit.
Erst nach vielen Wochen konnte sie wieder ihrer
Arbeit nachgehen.
Selten und ungern erzählte sie ihr nächtliches
Erlebnis ihren Freundinnen in der Rockenstube.
20. Die Klosterhirten in Schönau
Vor vielen Jahrhunderten erhielten die Mönche
von Waldsassen das Land vom Hohen Stein bis
zum Schönauer Berge vom König als Geschenk.
An günstigen Stellen ließen sie den Wald roden
und schufen Felder, Wiesen und Weiden. Sie
hielten selbst große Schafherden, die ihre Hirten
beaufsichtigten und abends in die Hürden
brachten. Da Kirchen fehlten, so schnitzten die
frommen Klosterhirten nach den Mustern der
Stiftskirche Heiligenbilder und befestigten sie
an alten, weithin erkennbaren Bäumen. Mehrmals
des Tages, besonders früh, mittags und
abends, verrichteten sie hier ihr Gebet. Die
Klosterbauern und später auch Bergleute nahmen
an der Andacht teil.
Die frommen Beter errichteten bald eine Kapelle,
in die sie das Heiligenbild brachten. Die uralte
Kapelle auf dem Schönauer Berge ist auf diese
Weise entstanden, auch die steinalten Linden
fehlen nicht. In dem ausgehöhlten Stamme einer
Linde befindet sich ein geschnitztes Bild, das die
Mutter Gottes mit dem Jesukind darstellt.